Menschenkenntnis – warum man auf Personaldiagnostik nicht verzichten sollte

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Oft vertrauen wir ganz intuitiv auf unsere Menschenkenntnis, auch in beruflichen Belangen. Falsche Entscheidungen hierbei können besonders im Personalwesen sehr kostspielig werden. Dabei können die Methoden der Personaldiagnostik objektive Hilfestellungen bieten.

Welche Optionen es gibt und weshalb man sich bei Mitarbeiterentscheidungen nicht nur auf sein Bauchgefühl verlassen sollte, erzählt im folgenden Interview Mag. Bernhard Dworak. Er ist Geschäftsführer der Master Human Resources Consulting GmbH (MHRC) und, unter anderem, Lektor für Personaldiagnostik sowie Führungskräftecoach.

Herr Mag. Dworak, warum ist das Thema Eignungsdiagnostik überhaupt so wichtig? Wir können doch alle Menschen gut selber einschätzen.

Können wir das wirklich? Ich glaube, dass das ist ein großer Irrtum ist. Wir glauben, wir können Menschen einschätzen. Das Problem dabei ist, dass wir natürlich Menschen aufgrund gewisser Annahmen oder unserer persönlichen Erfahrungen einschätzen zu versuchen. Wenn wir grundsätzlich sehr vertrauensvoll sind, dann gehen wir davon aus, dass auch das Gegenüber eher harmonisch und vertrauensvoll ist. Wenn wir eher misstrauisch sind, erwarten wir das auch von unserem Gesprächspartner. In der Fachsprache wird hierbei von unconscious bias gesprochen. Auf Deutsch gesagt also eine unbewusste Zuweisung.

Das Problem dabei liegt daran, dass unser Gehirn permanent filtert. Das bedeutet, wir können nur einen Bruchteil der Wirklichkeit verarbeiten. Diese Filter basieren auf unseren Erfahrungen. Dementsprechend wird auch die Stimme, das Aussehen und der Geruch eines Gegenübers gefiltert und dabei automatisch eingeteilt – in Kategorien wie Gut oder Schlecht, in Passend oder Nichtpassend. Das sind alles persönliche Dinge, die nichts mit dem Beruflichen zu tun haben. Persönlichkeitsdiagnostik blickt hierbei hinter die Kulisse und gibt ein objektives Abbild von typischem beruflichem Verhalten und schaltet somit die ganzen Filter, die wir haben, aus. Natürlich – wenn das Ergebnis gelesen wird, wird wieder gefiltert. Aber zumindest haben Sie dann einmal das Ergebnis schwarz auf weiß und können sich an etwas festhalten. Sie können auch verschiedene Profile vergleichen. Das ergibt ein wesentlich objektiveres Bild als Ihr Bauchgefühl. Ich habe vor Kurzem mit einer Recruiterin mit jahrelanger Erfahrung gesprochen und sie meinte, dass Sie seit ein paar Jahren diese Analysen deshalb einsetzt, weil Sie über die Zeit einen „Tunnelblick“ bekommen hat und ihr diese Analysen helfen, einen Schritt zurück zu treten. Sie kann einem Kandidaten gar nicht mehr objektiv begegnen. Fand ich sehr mutig, sich das so einzugestehen. Aber das ist die Realität!

Viele Personen sind der Meinung – in einen Menschen kann man nicht hineinsehen. Erst, wenn man mit der Person arbeitet, merkt man, wie sie tickt. Wie unterstützt hier die Eignungsdiagnostik?

Das ist ja genau der Punkt. Nach einem halben Jahr wissen Sie, wie der Mensch beruflich tickt und sich verhält. Was wir bei Master HR Consulting machen, ist Zeit zu sparen und das Bild zu objektivieren. Es gibt verschiedene wissenschaftlich fundierte Persönlichkeitsmodelle, die dieser Analyse zugrunde liegen. Wissenschaftlich gesehen heißt es psychologischer Test, aber ich vermeide diesen Ausdruck lieber, da oft automatisch im Kopf die Assoziation zu einer Bewertung hergestellt wird. Wir bewerten ja nicht.
Die Fragen, die im Fragebogen vorkommen, sind häufig sehr allgemeine gehalten, wie „Ich stehe gerne im Vordergrund“ oder „Ich setze meine Meinung gerne durch“. Darauf sollte jeder ehrlich antworten. Die meisten machen das wahrscheinlich auch, weil man es ansonsten zeitlich nicht schafft, sich konsistent zu zeigen. Diese Antworten werden dann mit einer Normgruppe verglichen. Die Normgruppe wurde zuvor interviewt und es wurde analysiert, wie diese Personen tatsächlich sind. Da wird Wert auf die Validität gelegt. Validität ist ein Qualitätskriterium, wo geschaut wird, wie gut das, was gemessen wird, auch mit der Realität übereinstimmt. Je besser es übereinstimmt, desto besser ist der Test. Das wird dann bei den Antworten verglichen und letzten Endes ist das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit so, wie Sie sich verhalten.

Beispiel: Sie nennen mir ein paar Musiker, die Ihnen gefallen. Wenn ich weiß, welche Art von Musik diese machen und wenn ich viele Leute gefragt habe, denen diese Musik auch gefällt, dann kann ich auf Ihren Musikgeschmack zurückschließen. Ohne Ihr Äußeres miteinzubeziehen. Das Äußere wird also wirklich dabei ausgeblendet.

Welche Arten von Eignungsdiagnostik bieten Sie speziell an?

Eignungsdiagnostik ist das Gesamtgebiet. Es gibt zwei Arten von Tests: Persönlichkeitstests und Leistungstests. Bei Letzteren werden Fähigkeiten und Fertigkeiten getestet. Wir haben zum Beispiel einen Test, der der das logisch- analytische Denkvermögen austestet. Der ACE Test (Adjustable Competence Evaluation) identifiziert das Potential für Erfolg. Hier wird auf verbaler, numerischer und figuraler Art versucht herauszufinden, wie gut Ihr logisch-analytisch Denkvermögen ist. Das sind zum Beispiel Bilderreihenfolgen, wo Sie das darauffolgende Bild bestimmen müssen. Solche Tests sind in Österreich äußerst unbeliebt – wir wissen aber, dass diese Tests eine sehr hohe Vorhersagekraft haben, wenn es um die Herangehensweise an zukünftige Probleme geht.

Wir wissen heutzutage nicht, welche Jobs es in fünf Jahren auf dem Markt geben wird. Was wir aber wissen ist, dass wir Personen brauchen, die mit den zukünftigen Herausforderungen gut umgehen können. Wobei das Ziel nicht ist, möglichst nur die Top-Performer zu haben. Man muss sich ansehen – welche Personen brauche ich für eine Aufgabe? Daraus ergibt sich ein Wert. In diesem Rahmen sollte man auch Personen finden. Wenn ich beispielsweise für einen Job, der im mittleren Bereich angesiedelt ist, eine Person finde, die besonders logisch-analytisch denkt, dann wird sich diese Person wahrscheinlich schnell unterfordert fühlen, weil sie oder er viel mehr leisten könnte und auch möchte. Umgekehrt kann man somit Personen auch schnell überfordern, wenn der Rahmen für die Person zu hoch ist. Es geht also nicht darum, den schnellsten, oder logisch-denkendsten Menschen zu finden, sondern denjenigen, der zu der Position passt. Das können Leistungstests abdecken.

Es gibt auch Persönlichkeitstest. Unsere MPA (Master Person Analysis) zählt zu den strukturierten Persönlichkeitstest und ist eine Analyse für erfolgreiche Personalauswahl und Personalentwicklung.
Es gibt verschiedene Modelle – ein Test zum Beispiel basiert auf dem Big-Five- Modell, eines der am besten dokumentierten und erforschten Persönlichkeitsmodelle. Ein anderer basiert auf einem weiterentwickelten Typologie-Modell. Oder eine Hybridform, die auf einer Mischung von dem Big-Five-Modell und weiteren Modellen basiert. Beispielsweise bieten wir die OPTO – Persönlichkeitsanalyse an, diese basiert auf dem Big-Five Modell und misst 8 Dimensionen, die für die Arbeitsleistung und den allgemeinen beruflichen Erfolg wichtig sind.

Je nach Einsatzgebiet machen unterschiedliche Tests Sinn. Im Recruiting braucht man andere Tests als in der Personalentwicklung.

Wie glauben Sie persönlich wird sich das Talent Management und das Thema Recruiting beziehungsweise Auswahl von Talenten durch die Veränderungen der Coronasituation entwickeln?

Das Interessante ist, dass sich mehr Unternehmen aktuell stärker mit Mitarbeitern beschäftigen als noch vor zwei, drei Jahren. Ob das von Corona kommt, oder nicht, kann ich nicht sagen. Was auffällt ist, dass der Mensch jetzt wieder im Mittelpunkt steht, weil man gesehen hat, dass eine Firma auf Menschen basiert. Hinter jeder Handlung steht ein Mensch – wenn dieser motiviert ist, ist das sehr gut. Ist er es nicht, weniger. Dieser Wandel resultiert auch daraus, dass viele Personen aktuell nicht mehr im Büro sind, sondern sich verstreut im Homeoffice befinden. Man kümmert sich daher mehr um sie und hat die Bedeutung der Eigenverantwortung verstanden. Insofern wird im Recruiting und Talent Management wieder verstärkt individuell auf Personen geschaut. Daher glaube ich auch, dass Personaldiagnostik und HR generell stärker in den Fokus rücken werden.

Corona war für uns alle sicherlich der große Katalysator für die Digitalisierung, aber auch für die Personaldiagnostik. In den nordischen Ländern ist es ganz normal, solche Tests zu machen. Bei uns ist das nicht so verbreitet. Es wird aber immer klarer, dass diese Tests wirklich wertvolle Informationen liefern, man keine Angst davor zu haben braucht und dass sie letztendlich allen Beteiligten etwas bringen. Dem Unternehmen, weil es keine Fehlinvestitionen macht. Dem Mitarbeiter, weil er Jobs vermeiden kann, die ihm nicht zusagen und dadurch keine Zeit verliert. Zeit, die heutzutage viel Wert ist. Das Ziel ist es, dass Mitarbeiter möglichst lange in einem Unternehmen und in einem Job bleiben, der ihnen gefällt. Unternehmen kaufen Ihnen Ihre Freizeit ab, und diese sollte natürlich gut genutzt werden. Personaldiagnostische Tests schauen darauf, ob eine Person zu einem Unternehmen und einer Position passt. Wenn es nicht passt, kann man sich ansehen, ob man eventuell mit Personalentwicklungsmaßnahmen helfen kann. Personaldiagnostik kann zwar die Persönlichkeit nicht komplett zerlegen, aber sie kann gewisse Faktoren testen. Dann weiß man, wie der Status ist und kann sich entscheiden. Eventuell kommt noch eine Probezeit vor der Endentscheidung hinzu. Es muss für beide Seiten passen. Personaldiagnostik beginnt in Österreich jetzt salonfähig zu werden – wir werden sehen, wo die Reise hingeht.

 

Interviewt: 25.01.2021, Mag. Bernhard Dworak, Geschäftsführer Master Human Resources Consulting GmbH

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