Gender Equality, Elternsein und Inclusion – ein Gespräch mit Dr. Ranja Reda Kouba

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Women in Tech Dr. Ranja Reda Kouba ist studierte Finanzmathematikerin/Kernphysikerin und aktuell als Juniorpartnerin bei der Managementberatung McKinsey & Company in Wien tätig. Neben ihrem beruflichen Schwerpunkt Tech und Digital Transformation engagiert sie sich für die gesellschaftlich wie wirtschaftlich wichtigen Themen Gender Equality, New Work und Leadership.

Die Personalberaterseitenblicke trafen sich mit ihr auf ein Zoom-Meeting – heraus kam ein Gespräch über Ungleichheiten, Gedankenexperimente und persönliche Erfahrungen:

Frau Dr. Reda Kouba, als Advocate für Gender Equality beschäftigen Sie sich unter anderem mit Themen wie Female Leadership. Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die größten Herausforderungen in diesem Bereich? Wieso sind Frauen in Führungspositionen, insbesondere im Tech-Umfeld, noch immer so unterrepräsentiert?

Anmerkung: 2020 betrug der durchschnittliche Anteil von Frauen in Führungspositionen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten 34,3%. Der durchschnittliche Frauenanteil in der IT-Branche in Österreich beträgt laut einer Studie des VÖSI (Verband Österreichischer Software Industrie) aus dem Jahr 2021 rund 18%.

Dr. Ranja Reda Kouba: Die geringe Quote an weiblichen Führungskräften ist ein branchenübergreifendes Problem, das nicht nur in der Privatindustrie besteht. Sieht man sich die Frauenanteile in Ministerien und Parlamenten an, liegen wir bei 22%. Frauen stellen rund 50% der Weltbevölkerung, tragen aber nur rund 37% zum globalen BIP bei. Im Technologiebereich verschärft sich dieses Problem noch einmal: Laut Stackoverflow Developer Survey 2021 sind nur rund 5% der professionellen Entwickler:innen weiblich.

Wir haben uns in einer globalen Studie mit über 300 involvierten Unternehmen angesehen, was passieren würde, wenn es diesen Unterschied nicht gäbe, alles also komplett gleich wäre. Dazu haben wir globale Nationen, Industrien und Funktionen miteinander verglichen. In vielen Ländern ist die Schaffung einer völligen Gleichheit bis 2025 nicht realistisch, daher haben wir Länder mit ähnlichen Merkmalen gruppiert – zum Beispiel die Beneluxstaaten – und uns angesehen: was würde passieren, wenn jedes Land in Bezug auf Gender Equality so gut wäre, wie das beste in der Region? Wenn jeder so gut wäre wie der beste Nachbar sozusagen. Das Ergebnis: bis 2025 würden wir dadurch 12 Billionen US-Dollar zum globalen BIP hinzufügen und 240 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen lassen. Das bedeutet, 240 Millionen mehr Frauen wären in der Arbeitskraft. Dieses Gedankenexperiment zum Start zeigt schon, wie groß die Unterschiede und die damit verbundenen Herausforderungen noch sind.

Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass es für Unternehmen durchaus Sinn macht, sich für Gender Equality einzusetzen. Nicht nur, weil es sozial gesehen das richtige zu tun ist, sondern weil es auch einen finanziellen Vorteil schafft. Wir haben untersucht, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, finanziell überdurchschnittlich abzuschneiden, wenn Diversität in einem Unternehmen gelebt wird. Die Wahrscheinlichkeit ist um 25% höher, wenn man gender-diverse ist. Zählt man ethnische Diversität dazu, steigt die Wahrscheinlichkeit auf 37% an. Es gibt also für Unternehmen und den öffentlichen Sektor einen finanziellen Anreiz, sich für mehr Frauen in der Arbeitswelt und in Führungskräftepositionen einzusetzen, dasselbe gilt natürlich auch für den Technologiebereich.

Die Herausforderungen für Frauen, die in der Arbeitswelt angekommen sind, sind sehr vielfältig. Aus unserer Sicht ist es wichtig, hier nicht nur von Diversity sondern auch von Inclusion zu sprechen. Was meine ich damit? Diversität ist eine Sache, d.h. eine bestimmte Zusammensetzung an verschiedenen Geschlechtern, sexuellen Orientierungen, Ursprungsländern oder -studienrichtungen, etc. All das bringt Diversität ins Gedankengut und ist eine Säule. Die zweite Säule, und darin liegen die größten Herausforderungen, ist es, Inclusion zu schaffen. Für Unternehmen ist es meist einfacher, schnell Ergebnisse bei den Diversitätszahlen zu erzielen, als eine wirklich inklusive Unternehmenskultur zu schaffen.

Inclusion besteht aus 6 Pfeilern, die Zugehörigkeit schaffen, nämlich nicht nur im Sinne von „Ich sitze am Tisch“, sondern „Ich kann an diesem Tisch auch ein vollwertiges Teammitglied sein“. Dazu gehört Authentizität – traue ich mich, ich selbst zu sein? – und Akzeptanz in einem nächsten Schritt. Kann ich unterschiedliche Perspektiven einbringen und werden diese akzeptiert? Fühle ich mich zugehörig und verbunden mit meinem Umfeld? Gibt mir das Unternehmen bzw. die Arbeit Sinn – dieser Punkt ist in der Pandemie noch viel wichtiger geworden. Und zuletzt: ist das System fair? Dabei geht es beispielsweise stark darum, ob Frauen die gleichen Aufstiegschancen im Unternehmen haben. Sowohl für Einzelpersonen als auch für Unternehmen sehen wir darin die momentan größte Herausforderung.

Welche Eigenschaften und Qualitäten braucht Ihrer Meinung nach eine weibliche Führungsperson, um erfolgreich zu sein? Ist Erfolg schlussendlich auch eine Typsache?

Dr. Ranja Reda Kouba: Aus privater Erfahrung und als vierfache Mutter kann ich unterstreichen: Der Versuch, in unserer westlichen Welt Kinder offen und ohne Gender-Stereotypen zu erziehen, ist ein sehr schwieriger. Es gibt so viele Einflüsse, die Stereotype mit sich bringen – beispielsweise die rosafarbigen Geschenke für Mädchen und blaue für Buben. Das gesagt habend sehen wir aber, dass die für den Erfolg wesentlichen Fähigkeiten die gleichen sind. Eine männliche Führungskraft muss dieselben Qualitäten mitbringen, wie eine weibliche Führungskraft.

Welche diese sind, verschiebt sich gerade durch die Pandemie sehr stark. Fähigkeiten wie autoritäres Führen zum Beispiel. Bei dem derzeitigen Ausmaß an Unsicherheit ist es beispielsweise wichtig, die Fähigkeit zu besitzen, schnell, auch ohne 100-prozentig sichere Faktenlage, Entscheidungen treffen und sie dennoch transparent und plausibel kommunizieren zu können. Besonders sozio-emotionale Fähigkeiten wie Empathie, nicht-hierarchische Führungsqualitäten aber auch technologische Fähigkeiten werden immer wichtiger.

Das, was diverse Personen mitbringen müssen, ist also ähnlich. Die Unterschiede sehen wir darin, was Männer und Frauen davon abhält, in eine Führungsrolle zu kommen. Ich empfehle zu diesem Thema das Buch „How women rise. Break the 12 habits holding you back“ von Sally Hegelsen und Marshall Goldsmith. Frauen werden häufig von anderen Dingen abgehalten, beruflich aufzusteigen, als Männer – zum Beispiel von zu starker Detailorientierung oder dem Nicht-loslassen- können, wenn die Rolle seniorer wird. Es geht aber auch darum, dass wir als Frauen geprägt werden von dem, was man im Englischen als „humble“ bezeichnet – nur nicht zu stark Licht auf sich selbst zu scheinen, sondern eher zu diffundieren. Zu sagen, „das war nicht meine Leistung, das Team hat das geleistet“. Bis zu einem gewissen Grad ist das gut, viele Frauen loben sich selbst aber gar nicht und das wiederum kann ihnen schaden.

Buchempfehlung zum Thema Female Leadership

Dieses Muster überträgt sich auf die Berufs- bzw. Studienwahl und den Interessen in der Schule und führt dazu, dass Frauen tendenziell zu wenig mit future skills im Bereich Agilität, Cloud oder künstliche Intelligenz in Berührung kommen. Wir brauchen mehr Frauen und Diversität, gerade was technologische Fähigkeiten betrifft. Wenn wir uns die Tech-Skills der Zukunft ansehen, gibt es sieben Bereiche, die zentral werden – nämlich Fähigkeiten rund um DevOps, Plattformen und Produkte, Automatisierung, Customer Experience, Cybersicherheit, Daten und Cloud.

Laut der Deloitte Leadership Survey 2021, sagen 33% der Unternehmen in Österreich, dass sie keinen bewussten Einsatz von diversitätsfördernden Maßnahmen bei der Besetzung von Top-Jobs haben. Kann man als Einzelperson etwas zur Diversität im Unternehmen beitragen?

Dr. Ranja Reda Kouba: Das schöne ist, dass man gerade als Einzelperson sehr viel mehr dazu beitragen kann als man glaubt. In unserer Studie Women In The Workplace  gemeinsam mit Sheryl Sandbergs Organisation LeanIn untersuchen wir die Rolle der Frau in der Arbeitswelt genauer und haben dabei gesehen, wie viel man machen kann. Wenn in einem Meeting jemand unterbrochen wurde, kann man beispielsweise sagen „Anna, Du wurdest unterbrochen. Möchtest Du Deinen Gedanken fortführen?“ Das zeigt Respekt und macht ganz viel aus.

Eine andere Möglichkeit ist es, eine ruhigere Person bewusst nach ihrer Meinung zu fragen – Diversität sollte ja auch extrovertierte und introvertierte Personen miteinschließen. Oder – auf Englisch nennt man das „the only“ – die Person im Raum um ihren Beitrag zu fragen, die auf einer bestimmen Dimension die „einzige“ ist. Das kann die einzige Person mit Migrationshintergrund sein, die einzige Person, die vor kurzem von außen in das Unternehmen gekommen ist, oder aber auch die einzig offene LGBTQI-Person.

Man sollte auch nicht von dem Mann, der Frau, dem Freund oder der Freundin sprechen, sondern von der besseren Hälfte. Worte zu finden, die nicht voraussetzen, dass alles der Norm – was auch immer die Norm sein soll – entsprechen, sondern Offenheit für diversere Lebensentscheidungen und -hintergründe zu zeigen ist ebenfalls eine Möglichkeit. Solche Kleinigkeiten können dazu beitragen, dass sich diverse Personen im Unternehmen wohler fühlen.

Was ist Ihr Tipp als vierfache Mama für berufstätige Eltern, um Karriere und Kinder miteinander zu verbinden?

Dr. Ranja Reda Kouba: Ich glaube, es sind drei Sachen. Das sind persönliche Tipps, die für mich und meine Familie funktionieren, das muss nicht für alle so sein. Erstens als Paar, sofern man gemeinsam Kinder großzieht, bewusste Entscheidungen zu treffen. Ich weiß nicht, wie es alleinerziehende Personen machen, ich habe den höchsten Respekt davor. Angenommen aber, man zieht als Paar Kinder groß, es geht um die Kombination von Kindererziehung und Karriere und man verfügt über ein gewisses Grundeinkommen, sich dann ganz bewusst zu fragen: Was ist unser gemeinsames Ziel? Bei uns persönlich war es ganz klar nicht das Finanzielle, sondern unser Glück als Familie, das im Mittelpunkt stehen sollte. Ein Beispiel dafür, das ich immer häufiger bei Paaren sehe und sehr schön finde: Es sollte nicht automatisch so sein, dass die besserverdienende Person weiterhin Vollzeit arbeitet und der weniger verdienende Part in der Beziehung zurücksteckt und die Kinder großzieht. Vielleicht ist man am glücklichsten, wenn beide Teilzeit arbeiten oder es ganz umgekehrt ist und die weniger verdienende Person Vollzeit arbeitet. Man kann sich bewusst machen, was optimiert wird und hinterfragen, ob es tatsächlich das Finanzielle sein muss.

Mein zweiter Tipp ist es, kumulativ über Kinderbetreuungskosten nachzudenken und nicht nur kurzfristige, sondern langfristige finanzielle Überlegungen dabei zu machen. Ich sehe immer wieder Personen in meinem Umfeld, die keinen finanziellen Sinn dahinter sehen, arbeiten zu gehen, weil fast ein gesamtes Gehalt für die Kinderbetreuung ausgegeben wird. Hier kann man darüber nachdenken, dass eine solche Investition langfristig doch Sinn macht – die Gehaltskurve steigt häufig steil und eine Rückkehr in die Arbeitswelt rentiert sich somit langfristig.

Das dritte Thema ist, auf Qualität, statt auf Quantität zu achten. Sei es die Zeit, die man als Paar gemeinsam hat, als auch in der Zeit mit den Kindern. Manchmal ist weniger gemeinsam verbrachte Zeit, aber dafür mit voller Aufmerksamkeit, wertvoller als viel Zeit mit geteilter Präsenz.

Passend zum Thema Kinderbetreuung – was halten Sie von der Karenzsituation in Österreich? In Europa und weltweit gibt es verschiedene Karenzmodelle, auch die Erwartungshaltung speziell an Mütter in Bezug auf Arbeit und Betreuung ist sehr unterschiedlich.

Dr. Ranja Reda Kouba: Es gibt so eine schöne Grafik, die sich „Torte der Wahrheit“ nennt. Das Statement lautet: wofür Frauen verurteilt werden. Die vier Antwortfelder sind: nur Kinder, nur Karriere, Kinder und Karriere, keine Kinder und keine Karriere.

Ich glaube, verurteilt wird man ohnehin. Die viel wesentlichere Frage ist: was möchte man im Leben?

Wenn man die Karenz- und Elternzeitsituation global betrachtet, sieht man, dass Österreich bezüglich der Dauer der bezahlten Elternzeit hinter Australien global führend ist. Auch Deutschland liegt deutlich über dem OECD-Schnitt. Natürlich kann man Betreuungsangebote, insbesondere im ländlichen Bereich, noch stärker ausbauen. Auch würde ich gerne mehr Männer sehen, die sich eine Auszeit zur Kinderbetreuung nehmen. Global sehen wir das als zentrales Thema, damit gerade Frauen, sofern sie das möchten, schneller wieder in die Arbeitswelt zurückkehren können.

In Europa und Österreich wäre es spannend, sich die Faktenlage zu Betreuungszeit nicht nur für Kinder, sondern auch für ältere Personen anzusehen und zu vergleichen, wie viel davon Frauen und wie viel Männer leisten. Meine persönliche Hoffnung ist es, dass sich die Situation durch Covid- 19 langfristig verschieben wird, aber das werden wir erst dann sehen, wenn Zahlen dazu vorhanden sind. Die Statistik Austria, bei der ich im Statistikrat stellvertretende Vorsitzende sein darf, startete mit Anfang Jänner eine neue österreichweite Statistik, die es auch in anderen europäischen Ländern gibt. Ein länderübergreifender Vergleich wird also bald möglich sein. Dabei geht es um eine Art Tagebuch in einer App. Darin wird österreichweit stichprobenartig über mehrere Tage hinweg untersucht, wer im Haushalt welche Aktivitäten, darunter auch Betreuungstätigkeiten, für wie lange übernimmt. Auf die Ergebnisse bin ich gespannt, weil dann für 2022 aufgezeigt wird, welche Gleichheit oder eben auch Ungleichheit bezüglich Betreuungszeiten noch immer in Österreich herrscht.

Beim Thema Karenzmodelle kommt es meiner Meinung nach auf die richtige Incentivierung an. Das ist auch in Deutschland gerade steuerlich ein großes Thema. Wie möchte man das steuerlich incentiveren, dass beide Elternteile in die Arbeitswelt eintreten? Darüber hinaus muss man aber auch Wertschätzung allen Entscheidungen gegenüber zum Ausdruck bringen. Für mich persönlich kann ich sagen: Mit vier Kindern zuhause ist das Arbeiten im Büro, als würde ich in ein Spa einchecken. Ich habe den höchsten Respekt vor Müttern, die zuhause sind. Bei uns übernimmt mein Mann die primäre Elternrolle. Trotz aller Herausforderungen, die mein Job in unserer schnell getakteten Welt mit sich bringt, bin ich mir sicher – er hat den härteren Job von uns beiden. Mein großer Respekt gilt eigentlich Vollzeiteltern, weil ich weiß, wie physisch und psychisch anstrengend das ist. So muss man Diversität leben und jede Entscheidung, die ein Elternteil trifft, respektieren.

Damit schließt sich auch der Kreis zur Torte der Wahrheit, daran muss man ansetzen. Wichtig ist es, für jede Entscheidung die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen und durch Kinderbetreuung sämtliche Eltern zu unterstützen, je nachdem welche Entscheidung sie treffen. Auch für Unternehmen ist es ein sehr komplexes Thema, das Herausforderungen mit sich bringt. Hier ist es weniger die Kinderbetreuung an sich, sondern das Schaffen von flexiblen Arbeitszeitmodellen und hybrider Arbeit, die zum Teil remote sein kann, und ähnliches. Unternehmen können also auch sehr viel zu dieser Angelegenheit beitragen.

 

 

Interviewt: 21.12.2021, Dr. Ranja Reda Kouba, Associate Partner McKinsey & Company, u.a. Mitglied Next Generation Advisory Board McKinsey, Stv. Vorsitzende des Statistikrat Aufsichtsgremiums der Statistik Austria

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