Enterprise 2.0 Conference – Mut zur Demokratie, monitor, März 2010

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Eine passende und aussagekräftige Zusammenfassung über die Ergebnisse und Vorträge der Enterprise 2.0 Conference, November 2009, Enterprise 2.0 Conference San Francisco:

Kritiker behaupten, dass soziale Software keinen Platz in Unternehmen hat. Organisationen, die sich darauf einlassen, berichten von neuer Innovationskraft: wie Web-Demokratie das Geschäftsleben erobert.
(Alexander Riegler)

Rick Wgoner, langjähriger Chef von General Motors (GM), prägte eine Unternehmenskultur, die Steven Rattner, von Präsident Obama als "Auto-Zar" eingesetzt, als "freundlich arrogant" beschrieb. Rattner sollte erheben, wie schlimm es um die einst "großen Drei" aus Detroit, die Autohersteller GM, Ford und Chrysler stand.

Als er bei seinem ersten Besuch die Konzernzentrale von GM in Augenschein nahm, fand er ein Management vor, das gut bewacht und abgeschottet vom Rest der Belegschaft im obersten Stockwerk residierte. Mittels Magnetkarten steuerbare Lifte stellten sicher, dass die Unternehmsnführung ohne Kontaktaufnahme mit Mitarbeitern anderer Stockwerke direkt vom Schreibtisch zum parkplatz gelangte. "Kein Aufeinandertreffen mit den Drohnen", nannte es Rattner

DEMOKRATISIERUNGSTOOL

Am anderen Ende der Skala versuchen Unternehmen über geringere Hierarchien und versärkte Demokratisierung ihre Innovationskraft voranzutreiben. Als Mittel zum Zweck gilt immer öfter das sogenannte Enterprise 2.0: Über den Einsatz von kollaborativer Software des Web 2.0 soll die Eigeninitiative der Mitarbeiter verstärkt und die Zusammenarbeit innerhalb der Organisation verbessert werden. Web 2.0 auf Unternehmen umgemünzt bedeutet den Einsatz von Blogs, Wikis, Gruppeneditoren und Applikationen zur gemeinschaftlichen Kategorisierung von Informationen. Die Idee dahinter ist einfach, im Businesskontext allerdings neu. Mitarbeiter beginnen vermehrt, ihre Ideen einzubringen, gerade weil kein Zwang zur Nutzung herrscht. Die Erfolgsgrundlage beschreiben Experten als eine Art Demokratisierung: Ein Wikisystem, das sich über das gesamte Unternehmen erstreckt und jeden zur Teilnahme einlädt, überwindet Hierarchien relativ einfach.

Doch wofür werden neue Methoden zur Zusammenarbeit benötigt, wenn viele bereits mit den alten überfordert sind? In der Studie "Von Wissensarbeitern verwendete Kommunikationstechnologien" kommt der Wissensmanagementexperte Thomas Davenport zum Schluss, dass rund ein Drittel aller Mitarbeiter E-Mails als überbeanspruchtes Kommunikationsmittel betrachten. Jeder Sechste sieht dadurch sein Produktivität eingeschränkt. Die Studie datiert bereits aus dem Jahr 2006. Die Menge an elektronischer Post hat sich seither vervielfacht.

WERTVOLLE UNBEKANNTE

Eine abgewandte Form des Mitmach-Internets – nichts anderes sind Web-2.0-Tools in Unternehmen – soll Abhilfe leisten, indem Benutzer zu Gestaltern werden. Der Unterschied zwischen ein bisschen im Web 2.0 schnupern und die neue Methodik als Organisation zu verinnerlichen, ist allerdings enorm. Erst wenn Unternehmen eine Handvoll soziologischer Grundlagen hinter Enterprise 2.0 verstehen, kann am Ende eine "Basis für eine neue Quelle an Wettbewerbsvorteilen" herauskommen, wie es Jacques Bughin, Direktor bei McKinsey & Company, im Aufsatz "Der Aufstieg der Enterprise 2.0" beschreibt.

Zunächst ergeben sich durch eine frische Sicht auf Bestehendes neue Problemlösungsansätze. Der Soziologe Mark Granovetter beschreibt dies in seiner Theorie "Die Stärke der schwachen Bindungen".

Demnach verlassen sich die meisten Menschen auf starke Bindungen – Leute, die man gut kennt und einschätzen kann. Geht es jedoch um Innovationen, dann sind schwache Bindungen – Leute, die einem kaum bis gar nicht bekannt sind – wertvoller. Weil sich das Wissen und soziale Netzwerk der Fremden vom eigenen stärker unterscheiden, können ihre Einblicke umso interessanter sein, so der Schluss Granovetters. 

TREND zur MITSPRACHE

Für Megan Murray, Community Managerin und Projektkoordinatorin bei Booz Allen Hamilton kommen Unternehmen am Einsatz von Web-2.0-Lösungen nicht vorbei, weil sich Mitarbeiter mehr Mitsprache und Anerkennung erwarten. "Das passiert, Punkt", so Murray auf der Konferenz "Enterprise 2.0", die Anfang November 2009 in San Francisco stattfand. Die neuen Technologien würden die Umsetzung schneller und besser gestalten. Nach Ansicht von Claire Flanagan, beim IT-Dienstleister CSC verantwortlich für Wissensmanagement und Enterprise Social Collaboration, handelt es sich dabei nicht um Technologien, zu denen man "hingehen", wie zu den meisten Wissensmanagementapplikationen.

"Es bedeutet vielmehr, dass Mitarbeiter diese innerhalb ihres Arbeitsablaufes umsetzen können, und das ist viel wichtiger", so Flanagen auf der Konferenz. Wenn mehr Mitarbeiter am Innovationsprozess beteiligt sind, steigert das nicht nur die Transparenz innerhalb der Organisation, auch Wissensspitzen werden leichter erkennbar. Laut einer Enterprise-2.0-Studie von McKinsey schaffen Unternehmen, die Web 2.0 erfolgreich einsetzen, bis zu 20% höhere Innovationsraten.

EINFACH und ZUGÄNGLICH

Basis für Enterprise 2.0 sind Serviceorientierte Architekturen. Im Unterschied zu Groupware, wo Benutzer in Gruppen zusammengefasst werden, sucht sich bei Enterprise 2.0 jeder, was er braucht. Grenzen sollte es im Netzwerk nur wenige geben, der Fokus liegt auf Offenheit.

Eine wichtige Voraussetzung für Erfolg ist die einfache Benutzbarkeit der Anwendungen. Jeder, der E-Mails verschickt, sollte auch Web-2.0-Software verwenden können. Zudem sind typischerweise keine besonderen Vorschriften vorgesehen, wie Ergebnisse aussehen oder zu kategorisieren sind. "Das ist eine riesige Veränderunge", schreibt Wissenschaftler Andrew McAfee 2006 in einem viel zitierten Text zum Thema. Alles bisher dagewesene, von Wissensmanagementsoftware hin zu Workflow-Applikationen inkludierte mehr oder minder starre Vorstellungen über die Informationsstruktur. Und jetzt existiert strukturiertes und unstrukturiertes Wissen plötzlich friedlich nebeneinander.

EINFACHE ETIKETTE

Mehr Demokratie im Unternehmen schnürt die Angst vor Sicherheitslücken. Was, wenn im Blog Sachverhalte ausgeplaudert werden, die lieber geheim bleiben sollten? Was, wenn durch verstärkte Demokratisierung ein Teil der Kontrolle verlorgen geht?

"Ich habe festgestellt, dass sich Bedenken gegenüber Enterprise 2.0 in zwei Kategorien teilen: Angst, dass die Leute die neu verfügbaren Lösungen nicht verwenden, und Angst, dass sie es tun", brachte es McAfee auf der kalifornischen Enterprise 2.0-Konferenz auf den Punkt. In der Praxis passiert es selten, dass sich etwa Angestellte via Blog beflegeln. Immerhin wissen sich diese innerhalb der Unternehmenskultur entsprechend zu verhalten, Web-2.0-Software bildet dabei keine Ausnahme.

Damti Mitarbeiter einen Teil ihrere Kollaboration von E-Mails auf Blogs und Wikis verlagern, bedarf es amBeginn einer Richtungsangabe, danach gilt jedoch, weniger ist mehr: Ein bisschen Lenken ist notwendig, zu viel richtet Schaden an. "Man muss den Leuten einen Ausgangspunkt geben, auf den sie reagieren und den sie verändern können", rät Darren Lennard, Managing Direcotr der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein, einem erfolgreichen Anwender von Wiki und Blog.

WIKI fürs FBI

Im Rahmen der Enterprise 2.0-Konferenz führt McAfee ein überraschendes Erfolgsbeispiel an. So hätten sich in den USA 16 Aufklärungs- und Geheimdienstorganisationen, darunter CIA und FBI, auf eine "Intellipedia" geeinigt: ein Wiki, das alle Bereiche überspannt. Hinzu kommt ein Blog, der sich ebenfalls über alle Organisationen zieht. Wenn ein FBI-Agent bloggt, können den Eintrag Mitarbeiter der NASA und CIA lesen.

Bei den traditionell geheimniskrämersichen Organisationen setzte sich die Überzeugung durch, dass die Vorteile bei einer solchen Lösung überwiegen würden: "Wir waren in der Vergangenheit der Ansicht, dass Leute sterben würden, wenn wir zu viele Informationen teilen. Am 11. September 2001 mussten wir erfahren, dass Leute sterben, wenn wir Informationen nicht gut genug teilen", so ein Zitat eines Geheimdienstverantwortlichen im Artikel "Connecting the Dots in the Enterprise" (MIT Sloan Management Review). McAfees Schluss: Wenn es 200.000 Leute in 16 verschiedenen, verschwiegenen Organisationen schaffen, Web 2.0 an Bord zu holen, dann schaffen es alle.

Für Reinhard Willfort, Geschäftsführer des Grazer Unternehmens "Innovation Service Netzwork", setzt das Streben nach Innovation im Unternehmen einen gewissen Mut voraus. "Innovation bedeutet, eine kurze Zeit instabil zu werden", sagt Willfort.

Große Unternehmen hätten mehr Probleme damit als kleine, weil diese besonders auf Stabilität ausgerichtet seien. Gleichzeitig bietet Enterprise 2.0 gerade den Großen Chancen. Denn je mehr Personen beispielsweise an einer Wiki-Plattform arbeiten, desto besser kategorisiert, umfangreicher und letztlich leichter durchsuchbar wird diese. Das Konzept scheint so vielversprechend, dass es eventuelle sogar GM ins Auge fassen sollte.

Quelle: "monitor – Das Magazin für Informationstechnologie, Ausgabe März 2010": http://www.monitor.co.at/

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