Infarkt der Seele, DIE FURCHE, 8. April 2010

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"Der Begriff 'Burn Out' wird mittlerweile allzu leichtfertig verwendet – zum Schaden derjenigen Menschen, die tatsächlich von innerem Ausbrennen betroffen sind."

Ein höchst interessanter und leider allzu wahrer Beitrag von Ursula Rischanek und Doris Helmberger, DIE FURCHE im Thema der Woche, 14/8. April 2010:

Chronischer Leistungsdruck, Stress, Mobbing und innere Antreiber wie „genug ist nicht genug“ lassen irgendwann die Kräfte erlöschen. Über die Modekrankheit 'Burnout' – und ihre ganz realen Ursachen.

Es war Samstag, der 27. März, als Steffen Kretschmann nicht mehr zuschlagen wollte. Im Kampf gegen den Russen Dennis Bachtow führte der deutsche Schwergewichtsboxer nach Punkten, doch in der neunten Runde ging er plötzlich selbst k. o. psychisch. Unter den Augen staunender Ringrichter drehte sich der 29-Jährige von seinem Gegner ab und ging in seine Ecke.
Kretschmann ist nur der letzte einer Reihe Prominenter, die mit der Diagnose Burnout für Schlagzeilen sorgten. Der Skispringer Sven Hannawald beendete deswegen seine Karriere, der Jazz-Pianist Keith Jarret legte eine jahrelange Zwangspause ein – und die deutsche Kommunikationswissenschafterin Miriam Meckel verarbeitete ihre innere Ausgebranntheit zuletzt medienwirksam in einem 'Brief an mein Leben'. Nur die Schweizer Weltwoche ruderte traditionellerweise in die Gegenrichtung und geißelte Burnout als 'Business-Modell'.
Handelt es sich hierbei wirklich nur um eine 'eingebildete Krankheit', die derzeit in Mode ist? Tatsächlich prägte der Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger bereits 1974 den Begriff Burnout für das Phänomen des inneren 'Ausbrennens' – ausgelöst vor allem durch Überengagement in sozialen Berufen. Mittlerweile wird der Begriff freilich allzu leichtfertig verwendet. 'Ich habe schon gehört, dass Mitarbeiter zu ihrer Chefin sagen: Wenn du mir diese Aufgabe auch noch gibst, dann krieg ich ein Burnout', erzählt die Psychotherapeutin Theresia Gabriel vom Wiener Institut für humanökologische Unternehmensführung (IBG). Dadurch werde dieser Befund jedoch nicht mehr ernst genommen, zum Schaden derjenigen, die wirklich betroffen sind. Ob dies der Fall ist, lässt sich sowohl psychotherapeutisch als auch anhand des Blutbildes feststellen.

Berufsbedingte Belastung

Nach den diagnostischen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO gilt Burnout jedenfalls nicht als Krankheit, wohl aber als Diagnosezusatz, als 'Faktor, der den Gesundheitsstatus beeinflusst und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führt'. Dementsprechend anerkennen die Krankenkassen das Phänomen Burnout zwar nicht als Berufskrankheit, sehr wohl aber als berufsbedingte Belastung.
Diese Belastung steigt freilich stetig an: Zwischen 15 und 20 Prozent der Erwerbstätigen gelten als Burnout-gefährdet, psychische Belastungen wie Leistungsdruck, Stress, die latente Angst um den Arbeitsplatz oder Mobbing verursachen an die zwei Millionen Krankenstandstage pro Jahr. Wie gravierend das Problem ist, zeigt sich auch an der rasanten Zunahme von Invaliditätspensionen aufgrund psychischer Erkrankungen: Lag der Anteil im Jahr 1998 noch bei 16 Prozent, so stieg er bis zum Jahr 2008 auf 30 Prozent.
War Burnout ursprünglich vor allem die Krankheit der pflegenden und helfenden Berufe, galt es danach als klassische Managerkrankheit. Mittlerweile kann von der Hausfrau bis zum Arbeitslosen jeder darunter leiden. Besonders prädestiniert sind 30- bis 50-Jährige, aber selbst Kinder scheinen nicht davor gefeit.
'Das Problem ist, dass wir alle mittlerweile ein polychrones Zeitverständnis haben', sagt Lisa Tomaschek-Habrina vom Institut für Burnout und Stressmanagement IBOS. Alles müsse gleichzeitig und sofort passieren, ein lineares Zeitverständnis sei gar nicht mehr vorstellbar. „Aber genau diese Entschleunigung bräuchten Körper und Seele“, ist die Medizinerin überzeugt. Hat die Ausschüttung der Stresshormone Cortisol und Adrenalin früher in Gefahrensituationen dazu gedient, das Überleben zu sichern, kommt es heute durch die permanente Stresssituation gleichsam zu einer ständigen Vergiftung, die Körper und Psyche schwächt. Während sich der Urzeitmensch nach einer Phase der Aufregung zur Entspannung in seine Höhle zurückgezogen hat, kennt der moderne Mensch den gesunden Wechsel zwischen An- und Entspannung kaum mehr.
Eine Dauerbelastung mit Folgen. Sich permanent überfordert zu fühlen, anhaltende Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, das Fehlen jeglichen Entspannungserlebens, das wiederum zu Schlafstörungen führen kann, sowie ein Gefühl der Erschöpfung bis hin zur Depression – all das sind Warnsignale, die nicht vernachlässigt werden sollten, weiß die auf Psychosomatik spezialisierte Ärztin Regina Hochmair vom Kur- und Rehabilitationszentrum Bad Pirawarth. Dazu kommen körperlichen Symptome wie Magen- und Darmbeschwerden und Verspannungen, aber auch Augenbeschwerden und Tinnitus. Werden diese Signale übersehen und besteht für sie keine organische Ursache, ist Gefahr im Verzug.

Innere Antreiber ausschalten

Der Weg zum Burnout entspricht einem mehrstufigen Prozess. Je nach Schule gibt es zwischen sieben und zwölf Stufen – die sich über drei Phasen ziehen. 'Zuerst gibt es eine über idealistische Engagement-Phase, dann folgt die Resistenz- und Anpassungsphase und zuletzt kommen massive körperliche Erschöpfung und Existenzängste', erklärt Burnout-Expertin Tomaschek-Habrina. Neben steigendem Leistungsdruck, einer Tätigkeit, die den eigenen Werten widerspricht, oder Mobbing sind auch innere Stressoren schuld am Ausgebranntsein. 'Nur die Leistung zählt', 'meine Leistung ist nichts wert' oder 'genug ist nicht genug' sowie der Wunsch, von allen geliebt zu werden – all das sind gefährliche innere Antreiber.
Beim Ziehen der Reißleine setzen die Experten auf psychologische Hilfe, um diese Antreiber zu erkennen und auszuschalten. Aber auch die richtige Ernährung sowie das Vermitteln der passenden Entspannungsmethoden stehen bei der Behandlung, die bis zu einem Jahr dauern kann, auf dem Programm. 'Wichtig ist dabei, dass die Betroffenen lernen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und Hilfe anzunehmen', erklärt Regina Hochmair. Eine Vorgehensweise, die sie auch zur Prävention anrät. 'Man muss die Kräfte wie das Feuer hüten, sonst erlöschen sie.'

Quelle: "DIE FURCHE – Thema der Woche: Infarkt der Seele, 14/8.4.2010": www.diefurche.at

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