Der hohe Preis der Freiheit: Ein-Personen-Unternehmen

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Sie arbeiten auf eigenes Risiko und fühlen sich im sozialen Netz gefangen: Die Zahl der Einzelkämpfer unter den Unternehmern steigt

Fotolia_44437227_XS_Success_Preis FreiheitErich Pichlers gute Zeiten als Architekt sind vorbei. Lukrative Aufträge sind rar, Familie und Büro leben von Reserven. Starke Einkünfte aus einem Jahr machen die Verluste davor und danach nicht wett. Er habe immer gute Arbeit geleistet, ist der Tiroler überzeugt, und sei im Job erfolgreich gewesen, doch mittlerweile beute er sich selbst aus. Mitarbeiter können sich er und seine beiden Kollegen schon lange nicht mehr leisten. Pichler ist seit bald 30 Jahren selbstständig, aber auch " den jüngeren Architekten geht es heute nicht besser".

Mit harscher Kritik an der Wohlfahrtseinrichtung für Ziviltechniker hält der 62-Jährige nicht hinterm Berg. Sie biete nicht Schutz, sondern sei " ein Inkasso- und bürokratisches Selbsterhaltungsinstrument". Drei Jahrzehnte habe er seine Beiträge eingezahlt, um nun einen Pensionsanspruch von gerade einmal 813 Euro zu haben. Für 2012 erhielt er eine Vorschrift von mehr als 11.000 Euro. Nach zwei auftragsschwachen Jahren sei das für ihn nicht finanzierbar. Die Reduzierung des Beitrags erreichte er "nur nach heftigem Insistieren. Das alles macht mich zornig."

Keine Lobby

Im Heer der Selbstständigen rumort es. Weder Angestellte noch Arbeitgeber, hatten die Ein-Personen-Unternehmen jahrelang keine echte Lobby. Zu weit driften ihre Berufe auseinander. In der Politik fanden ihre Probleme wenig Gehör. Mittlerweile aber mobilisieren sich die knapp 240.000 Kleinstbetriebe und holen sich die Unterstützung von 42.000 neuen, gewerbescheinlosen Selbstständigen – von Schriftstellern wie Journalisten, Beratern, Krankenpflegern, Fotografen wie Psychologen. Sie trommeln ihren Groll über prekäre Arbeitsbedingungen in sozialen Medien und geben ihren Anliegen auf spontanen öffentlichen Aktionen ein Gesicht.

So vielen Selbstständigen gehe es schlecht. Klar liege das mitun- ter auch an fehlendem Verkaufs-Know-how. Doch verdiene eine so große Zahl an Kleinen derart wenig, dann seien daran vor allem System und Strukturen schuld, sagt Martina Schubert. Selbst Einzelkämpferin, berät sie ihresgleichen und steht im Ringen um faire Rahmenbedingungen für Ein-Personen-Betriebe an vorderster Front. Ihr Kontrahent ist das Sozialversicherungssystem: Zu hoch seien die Beiträge für Wenigverdiener, klagt sie. Zumal Selbstständige mit schmalen Einkommen prozentuell mehr bezahlten als Besserverdiener. Ihre Liste der Ungleichbehandlung im Vergleich zu Arbeitnehmern reicht von teuren Selbstbehalten bei Krankheit bis zu deutlich niedrigerem Wochengeld für Mütter.

"Ehe Kinder versorgt und Butter aufs Brot geschmiert werden können, ist Sozialversicherung zu begleichen", sagt Schubert. "Warum lässt man Selbstständige mit nur 11.000 Euro Einkommen im Jahr nicht leben? Warum darf Sozialpolitik für sie nichts kosten?"

Finanzielle Entlastung

Peter McDonald, Chef der Sozialversicherungsanstalt, hat darauf scharfe Antworten parat: Seit bald zehn Jahren würden Selbstständige laufend finanziell entlastet, zuletzt etwa in der Krankenversicherung und bei der Abfertigung neu. Dass es da und dort individuell natürlich Verbesserungsbedarf gebe, ändere nichts an einem "an sich sozial gerechten System".

Der SVA wehe allerdings eisiger Wind entgegen: Im Zuge des Sparpakets wurden ihr 135 Millionen Euro entzogen, "um damit Löcher im Bundesbudget zu stopfen".

Das mittlere Jahreseinkommen eines ausschließlich selbstständig Beschäftigten beträgt 10.900 Euro, rechnet Schubert vor. Bei Frauen seien es lediglich 8000 Euro, Teilzeitarbeit inkludiert. In der Wirtschaftskammer beziffert man ih- ren Lohn mit im Schnitt 26.000 Euro; laut Schubert sind hier aber etwaige Zusatzeinkünfte aus unselbstständiger Arbeit mit drin.

Zehn Prozent der Ein-Personen-Betriebe würden von der Sozialversicherung wegen offener Rechnungen exekutiert; gepfändet dürfe bis unter das Existenzminimum werden, fährt sie fort. Nur wenige Exekutionen würden umgesetzt, relativiert McDonald und verweist auf Zahlungen in Raten. " Die Leute verkaufen dafür ja auch ihre Couch", hält Schubert entgegen.

Hoher Akademikeranteil

Architekt Pichler empfiehlt jungen Branchenkollegen jedenfalls, sich "nie und nimmer" als Selbstständige verwirklichen zu wollen.

280.000 Einzelkämpfer schaffen sich ihre Jobs selbst. Der Akademikeranteil unter ihnen ist hoch. Zum Zeitpunkt der Unternehmensgründung blicken sie auf im Schnitt 15 Jahre an Berufserfahrung zurück. Rund 40 Prozent jedoch geben nach den ersten fünf Jahren wieder auf.

Zwölf Prozent galten laut EU-Statistiken zuletzt als armutsgefährdet; sieben Prozent sind es generell bei den Erwerbstätigen. Fast ein Fünftel arbeitet direkt bei ihren Kunden, erfragte die KMU-Forschung. 78 Prozent üben die Selbstständigkeit hauptberuflich aus. Sie bedienen überwiegend regionale Märkte. Die Bereitschaft, Mitarbeiter aufzunehmen, ist gesunken.

Jeder Selbstständige zahlt Sozialversicherung, mindestens 1,5 Euro am Tag. Im Vorjahr wurden von der SVA wegen offener Rechnungen 1900 in Konkurs geschickt.

Quelle: Verena Kainrath, DER STANDARD, 9.7.2012

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